Anmerkung des Autors: Projektarbeit wurde gekürzt um die Sportlerprofile
Thema: Betrachtung und Analyse des Play-up!-Ramp Zustandes beim Sportschießen
Das Schießen im Wettkampf erfordert vom Leistungsschützen hoch entwickelte Willenskraft und angespannte Aufmerksamkeit für die Dauer mehrerer Stunden.
Begleitet von der normalen Nervosität bereitet sich der Sportler vor. Muskeln werden erwärmt und Gedanken müssen geordnet werden. Der Vorstartzustand stellt sich ein.
Oft lässt sich schon durch Verhalten und Aussage des Schützen eine motivierte bzw. demotivierte Einstellung zum Wettkampf festmachen. Ein gestresster oder trübsinniger Sportler wird seine Höchstleistung nicht erbringen. Der aktiv angetriebene Schütze hingegen nutzt seine positive Einstellung, die Gruppendynamik seiner Mannschaft, das gute Gespräch mit dem Trainer oder dem Zimmermitbewohner, die Auseinandersetzung mit dem Gegner, der auch Freund sein kann, zur Leistungssteigerung.
Unbestritten bestimmen unvorhersehbare Ereignisse unmittelbar vor dem Wettkampf, wie aber auch das Erleben und das Ergebnis des Trainings, des letzten Wettkampfes bis hin zum Verlauf der letzten Saison, maßgeblich den Zustand des Schützen im anstehenden Wettbewerb.
In der Projektarbeit soll der Zustand und das Verhalten der Sportler in der Zeit zwischen dem Pre-Event-Training und dem Hauptwettkampf betrachtet und in der Trainingsgruppe untersucht werden.
Der maßgebliche und leistungsentscheidende Einfluss dieser Periode auf den Wettkampfverlauf soll herausgestellt, Erkenntnisse bewusst gemacht, Ratschläge zu Verhaltensweisen erarbeitet und im Gruppentraining überprüft und verbessert werden.
Dabei wird der Zeitraum der Betrachtung des Vorstartzustandes um die Stunden nach dem vortägigen Training, den Abend und die Nacht davor erweitert und schließt die morgendliche Vorbereitung mit ein. Dabei grenzt sich die Projektarbeit zeitlich von der bereits ausreichend publizierten unmittelbaren Wettkampfvorbereitung im ursprünglichen Sinne ab.
Für diesen VOR-Vorstartzustand definiere ich die Terminologie:
Play-up!-Ramp
Diesen Ausdruck leite ich aus dem englischen Sportausruf „play up!“ für „Vorwärts!“ und dem Wort Rampe (techn.: Zeitabschnitt mit kontinuierlicher Steigerung eines Wertes) ab.
Play-up!-Ramp soll einen vom Schützen kontrollierten ausgerichtet ansteigenden Sensibilisierungszustand beschreiben.
Beispiel einer typischen Vorkampfphase
Eingangsanalyse
Für die projektbezogene Trainingsgruppe konnte die Bundesligamannschaft des SB Broistedt gewonnen werden. Es ist davon auszugehen, dass eine Gruppe von Topsportlern einen ausgiebigen Erfahrungsschatz für ihre Wettkampfvorbereitung hat, dies aber ohne weiteres auch auf Anfänger und Aufsteiger übertragbar ist. Die Beobachtungen treffen eine Trainingsgruppe von 5 Sportler der Kernmannschaft, jedoch werden zwei Sportler unterschiedlichen Charakters ausführlich betrachtet.
Planung der Projektabschnitte
- Schritt: Einzelgespräche und Beobachtung der Mannschaft im Rahmen von mindestens zwei Bundesliga-Wettkämpfen
- Schritt: Problem- und Motivationsgestaltung der Wettkampfschützen diskutieren
- Schritt: gedankliche Verarbeitungsstrategien (Ablenkung, schießfachliche Gespräche, Regungslosigkeit, Bewusstmachen). Erörtern in der Zeit:
– nach dem Training
– in der Gruppe im Gespräch mit und ohne Trainer
– vor dem Schlafengehen
– am Wettkampftag
- Schritt: körperliche Verarbeitungsstrategien (Ruhe, Bewegung, Trockentraining, Essen). Erörtern in der Zeit:
– nach dem Training
– in der Gruppe
– vor dem Schlafengehen
– am Wettkampftag
- Schritt: Vielfältigkeit und Individualität der Play-up!-Ramp darstellen
- Schritt: Gruppen- und Einzelgespräche während des Trainings
- Schritt: Individuelle Verarbeitungsstrategien mit Schützen vor einem Wettkampf durcharbeiten
- Schritt: allgemeingültige Regeln herauslösen und in einer Nachbetrachtung darlegen
Durchführung
Zwei Bundesligawettkämpfe mit den entsprechenden Vorbereitungstrainingseinheiten wurden genutzt, um das Verhalten der Sportler zu beobachten und um ausgiebige Einzelgespräche zu führen. Im Detail wurden geschilderte Auffälligkeiten, Probleme und individuelle Motivationen in Stichpunkten zusammengefasst und anhand eines Zeitstrahls im Betrachtungszeitraum angetragen.
Hierbei kristallisierten sich bereits Brennpunkte im zeitlichen Geschehen bei allen Beteiligten heraus.
Als die zwei hervorstechenden Zeiträume sollen genannt werden:
- Rückzugs-/Einschlafphase
- Anstupsmotivationsphase
Beide Bereiche haben schon einen Eigennamen erhalten, da alle Sportler mit den Begriffen umgehen konnten. Die Bereiche grenzen unmittelbar an die Nachtruhe, dem imaginären Mittelpunkt des Betrachtungszeitraumes. Dieser Mittelruhepunkt während der Nacht kann auch auf einen anderen Zeitpunkt z.B. einem Ruhepunkt zwischen zwei Wettkämpfen an einem Tag übertragen werden. Auch hier findet man eine Rückzugsphase nach dem ersten Wettkampf, einem Ruhepunkt und eine Phase, die vom Sportler neue Motivation zur Einstellung und Vorbereitung auf den bevorstehenden zweiten Wettkampf abverlangt.
Da die Nachtruhe mit dem Einschlafvermögen und dem morgendlichen „in die Strümpfe kommen“ eine besondere Stellung in der Vorwettkampfplanung inne hat, wird gerade dieser Fall erörtert.
Im Wesentlichen wurden die gedanklichen und körperlichen Einflüsse auf die Sportler gesammelt, um Hinweise zu finden, inwieweit dies schon Wirkung auf den kommenden Wettkampf haben kann. Gepaart mit dem zunehmenden Erregungszustand trägt der Sportler einen Rucksack voller Eindrücke, Belastungen, Motivationen, Rituale, Gedanken, Trägheit, Freude, Kampfgeist, Versagensangst und Mut, eine mehr oder weniger steile Rampe zum Wettkampf hinauf.
Die Bestimmung der Rampen-Steigung hat jeder Sportler selbst in der Hand.
Eine Hilfe zur Rampen-Abflachung soll diese Projektarbeit geben.
Dokumentation
Aus den geschilderten Erfahrungen der Sportler wurden beispielhaft zwei praxisbezogene Szenarien zusammengestellt, mit dem Versuch die gedanklichen und körperlichen Einflüsse innerhalb der Play-Up!-Ramp zu trennen. Die Wirkungen auf den Wettkampf werden nur angeschnitten sind aber erheblich und nicht von der Hand zu weisen:
– Gedankliche Einflüsse und Wirkung
Szenario 1: das Pre-Event-Training ist gut gelaufen, das gute Gefühl soll mitgenommen werden. Der Trainer bestärkt und maßregelt, den bevorstehenden Wettkampf nicht zu leicht zu nehmen. Vor dem Schlafengehen wird noch angeregt über Schießtechniken mit dem Zimmergenossen diskutiert. Eigentlich müde, drehen sich im Gespräch alle Gedanken um das Schießen, sogar Zweifel an der eigenen Technik kommen auf. Das Einschlafen fällt schwer. Der Schlaf ist flach. Nach dem zweiten Weckerklingeln wird mit gelähmten Gliedern die Dusche gemeistert. Das fahle Gesicht wird durch etwas Fettcreme aufgefrischt. Niemand soll sehen, wie lang der Abend war. Beim Frühstück sitzt ausgerechnet jemand gegenüber, der behauptet, der Wettkampf könne nicht gewonnen werden, weil man noch nie gegen diesen Gegner gewonnen hätte. Den Zeitpunkt des gemeinsamen Treffens verwechselt, den Transferbus fast verpasst. Im Bus fällt ein, dass man den Präsentationstrainingsanzug für den etwaigen Medaillenrang im Hotel vergessen hat. Genauso wie die Prüfungsvorbereitungsfragen, die in der Freizeit auf der Fahrt zum Schießstand durchgegangen werden sollten, liegen im Hotel. Wegen dieses Wettkampfs wurde die Klausur extra verschoben. In den vorbeifliegenden Straßencafés könnte man jetzt gemütlicher sitzen . . . . . . . . . der Wettkampf beginnt schon schwer, die Gedanken fliegen, der Gegner macht einen fitten Eindruck, die Tagescreme ist jetzt im Auge verrieben und lässt die Sicht verschwimmen, die Klausur wurde wegen dieser 93er-Serie e x t r a verschoben, sollte man vielleicht doch schneller im Halteraum abziehen? Den Abzug könnte man wirklich besser einstellen. Bei dieser Startserie braucht man am Ende sowieso keinen Präsentationstrainingsanzug!
– Körperliche Einflüsse und Wirkung
Szenario 2: das Pre-Event-Training ist gut gelaufen. Heute ist die anstrengende Anreise zu spüren. Etwas Ruhe könnte jetzt gut tun. Die Waffenkontrolle kann noch warten. Morgen ist noch genug Zeit. Das naheliegende Hotel wartet mit verdunkelten Fenstern auf eine Stunde mit Bettdecke über dem Kopf. Schlapp muss zur Besprechung gegangen werden, die heute ungeduldig länger dauert. So spät essen gehen soll nicht gut sein. Mexikanisch ist leichte Kost. Nur scharf muss es sein, den Körper spüren und das Verlangen danach stillen. Ein Caipirinha schadet nicht. Zufußgehen hätte besser getan. Das Glas Rotwein hilft beim Einschlafen. Als der Wecker klingelt ist noch eine tiefe Müdigkeit zu spüren. Jeder andere Tag beginnt leichter, ausgerechnet heute muss der Wettkampf sein. Der Jetlag muss schuld sein. Ein Vitaminstoss beim Frühstück per Orangensaft, doch gleich zwei. Ob Jetlag oder O-Saft, der Magen fühlt sich nicht gut an. Man möchte lieber sitzen bleiben. Mit niedrigem Blutdruck lebt man länger. Das ganze Zeug noch zum Auto schleppen, 12 Kilo wiegt allein der Waffenkoffer und dann noch der Rest. Die Finger sterben gleich ab. Ausgerechnet heute ist die Schlange vor der Waffenkontrolle noch länger. Das wird knapp bis zur Vorbereitungszeit, noch einen Fingernagel eingerissen, immer am Abzugsfinger . . . . . . . . . . . . . . . ist es hier wirklich so heiß, warum war keine Zeit mehr, ein Wasser zu holen? Die ersten Schüsse der Probe sind gerade erst geschafft, ist es die Aufregung oder diese Hitze, der Schweiß tropft von der Stirn, der Kopf fühlt sich brennend an, dabei hat die 1.Serie nicht mal angefangen. Oh, nicht gut, noch ein Brennen. Wo ist die nächste Toilette, wo ist die Standaufsicht? Gut, noch alles in der Probeserie. Wo ist denn nur die Standaufsicht?
Auswertung
Aus den beschriebenen Szenarien kann eine Erregungslinie (rot) des Sportschützen im Betrachtungszeitraum angetragen werden. Die graphische Darstellung einer vom Schützen kontrollierten und konditionierten Erregungslinie (grün) zeigt den erstrebenswerten Verlauf der Play-up!-Ramp .
Der Erregungszustand zeigt große Sprünge, die es zu ebnen gilt. Lediglich ist eine ansteigende Erregung zum Wettkampfbeginn erstrebenswert, um die Aufmerksamkeit auf einem hohen Niveau zu halten.
Anhand eines didaktischen Rasters wurde ein Ablaufplan zur Vorbereitung auf einen Bundesligawettkampf beschrieben. Der Trainer soll mit den beschriebenen Maßnahmen auf die Schützen einwirken, um eine Reduzierung der Erregung mit deren positiven Auswirkungen auf den Wettkampf zu erreichen. Es zeigte sich, dass auch hier eine detaillierte Planung helfen kann.
Nachbetrachtung
Die Individualität der Schützen zeigte sich in natürlicher Weise auch im Umgang im Geschehen während der Play-up!-Ramp. Jedoch können allgemeine Verhaltensregeln abgeleitet werden, die hier noch einmal zusammengefasst werden:
> Das Beschäftigen und Auseinandersetzen mit der eigentlichen Schießhandlung sollte sich auf zeitliche Bereiche beschränken und mit Eckpunkten begrenzt. Grenzpunkte könnten das Verschließen und Öffnen des Waffenkoffers sein. Damit beschränkt der Schütze die technischen Abläufe auf die reinen (Trocken-)Trainings- und Wettkampfzeiten. Abgeschlossene Vorgänge lassen weniger Zweifel aufkommen.
> Möglichst nach dem Pre-Event-Training ist das Equipment sowie die Bekleidung für den anstehenden Wettkampf auf Vollständigkeit zu prüfen und gepackt bereitzustellen.
> Beim gemeinsamen Essen mit der Mannschaft sollten Trainingsergebnisse, Technikelemente und Waffentechnik nicht zum Gesprächsthema werden. Hier sollte eher die Teambildung im Vordergrund stehen.
> Dem Schützen sollte zum Ruhepunkt bzw. zur Nachtruhe genügend Zeit zur Verfügung stehen, die Gedanken zu ordnen. Ein Spaziergang oder auch ein Dauerlauf schafft eine sehr günstige Voraussetzung müde zu werden und den Tag ganz bewusst abzuschließen. Einschlafen lässt sich gerade nicht durch Zwang, Selbstbeherrschung, Wille und Anstrengung herbeizwingen. Alkohol ist eine Krücke, über die man spätestens am nächsten Morgen stürzt.
> Trotz genügend Schlaf kommt es vor einem Wettkampf oft zu einem lethargischen Wachwerden. Hier heißt es doch eine Stunde am Morgen mehr einzuplanen und diese Zeit für gemeinsamen Frühsport zu nutzen. Das mag auch wieder nur ein Spaziergang oder Gymnastik vor dem offenen Fenster sein. In dieser Anstupsphase ist das Team sehr wichtig, weil sich der Einzelne nur schwer bewegen lässt. Eine fest angeordnete Uhrzeit hilft.
>Auch das Essverhalten vor einem Wettkampf kommt eine größere Bedeutung zu, als es zunächst erschien. Die Erregung lässt mutmaßlich eine große Lust auf scharfes deftiges Essen aufkommen. Allgemein haben Menschen, die viel denken und intellektuell arbeiten, ein spürbar größeres Verlangen nach salziger Nahrung und herzhaften Speisen. Der Schütze gehört definitiv dazu, nur sollte er in Hinblick auf den bevorstehenden Wettkampf auf leichter verdauliche Kost zurückgreifen.
> Der Wettkampf stanzt Denk-Löcher in die Vorbereitungszeit.
Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Schütze vor einem Wettkampf auf eine Schulaufgabe oder Arbeitsthemen konzentrieren kann. Das Lernen ist nicht erfolgversprechend und kann daher nur verschoben werden.
Resümee: Die Schützen der Trainingsgruppe konnten durch Bewusstmachung der beschriebenen Vorgänge erfolgreich Gewohnheiten aufbrechen und Abläufe planen. Der Trainer konnte durch Beobachtung und Diskussion mit seinen Sportlern wichtige Strategien zur Abflachung der Play-up!-Ramp erarbeiten.